Angst ist etwas Menschliches. Sie hilft uns Gefahren zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Auch wenn sie als unangenehm empfunden wird, ist sie durchaus nützlich. Wenn die Angst jedoch überhand annimmt und den Alltag beeinflusst, spricht man von einer Angststörung.
Angsterkrankungen zählen neben Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Werden diese nicht rechtzeitig oder gar nicht behandelt, können sie sich immer mehr verselbstständigen. Es kommt zur Angst vor der Angst (Erwartungsangst). Diese kann zur Folge haben, dass Betroffene damit beginnen angstauslösende Situationen oder Orte zu vermeiden. Sie ziehen sich immer mehr aus dem Leben zurück, trauen sich nicht mehr ihr Haus zu verlassen. Das Vertrauen in die eigenen Stärken geht verloren und es entsteht ein Gefühl von ausgeliefert sein.
GEDANKENGÄNGE EINER BETROFFENEN IM ALLTAG Mit dröhnender Musik in meinen Ohren und dem Blick zum Boden gerichtet, durchlaufe ich die vollen Wege zum Bahngleis. Jede noch so kleine Berührung einer an mir vorbeihuschenden Person, versetzt mir ein unangenehmes Kribbeln im ganzen Körper. Den Blickkontakt vermeidend, laufe ich zum entsprechenden Gleis. Ungefähr dreimal habe ich bereits kontrolliert auf welchem Gleis mein Zug fährt, obwohl ich immer denselben Zug zur Arbeit nehme.
Das unangenehme Gefühl beobachtet zu werden lässt mich nicht los. Immer wieder sehe ich hoch, doch nicht eine einzige Person scheint sich für mich zu interessieren. Es ist frühmorgens und wahrscheinlich ist jeder in diesem Zug noch im Halbschlaf. Mir schräg gegenüber sitzt ein Geschäftsmann, völlig auf seinen Computer konzertiert. Wer sollte mich also bitte beobachten?
Ich fokussiere mich wieder auf mein Handy, doch dieses unangenehme Gefühl will einfach nicht verschwinden. Es fühlt sich an als würden mich alle genauestens studieren und kritisieren. Was, wenn sie meine Gedanken lesen können? Der Versuch an nichts zu denken geht jedes Mal schief, weshalb ich mich mit Netflix ablenke. Bei der nächsten Station steigen noch mehr Leute ein und zu meinem Übel, ist das Abteil in dem ich sitze jetzt voll. In dem ich mich schon fast an das Zugfenster quetsche, versuche ich den Abstand zu der Frau neben mir zu halten. Nicht das ich etwas gegen sie habe, die Nähe ist mir einfach unangenehm. Atme ich zu laut? Können sie mein Atmen hören? Nein, sie haben ja selbst alle Kopfhörer in den Ohren. Aber was, wenn doch? Was, wenn sie gar nicht Musik hören? Was, wenn sie nur Kopfhörer drin haben um zu lauschen. Nein, nein, das ist Schwachsinn.
Gleich kommt die Haltestelle, bei der ich aussteigen muss. Die Frau neben mir ist noch immer da. Soll ich etwas sagen oder einfach aufstehen?
Inzwischen bin ich im Büro. Der schrille Klingelton des Telefons versetzt mich in Panik. Nicht schon wieder. Das ist bereits der zweite Anruf heute. Ich sollte abnehmen, aber alle Mitarbeiter um mich herum können mich dann hören. Was wenn ich etwas Peinliches sage, meine Stimme beim Versuch zu sprechen versagt oder ich etwas falsches von mir gebe?
Ich arbeite erst seit ein paar Wochen für diese Firma und weiss vieles noch nicht. Ich nehme ab. Mein Herz rast noch mehr als zuvor. Ich kann mir den Namen des Anrufers nicht merken, da ich zu nervös bin. Zum Glück wird es nur ein kurzes Telefonat. Kaum fertig nehme ich mein Glas und hole frisches Wasser, um kurz von dieser unangenehmen Situation Weg zukommen.
Meine beste Kollegin holt mich heute von der Arbeit ab, wie versprochen. Ihr Fahrstil ist ein wenig riskant und ich kann mich nicht entspannen. Mein Adrenalin ist hoch. Bei jeder Kurve um die sie rast kralle ich mich am Sitz fest. Ich vertraue ihr, aber es gibt immer noch Gegenfahrer. Jedes Mal habe ich das Gefühl, dass es bei der nächsten Kurve einen Knall geben wird.
Seit Stunden liege ich im Bett und versuche zu schlafen. Hellwach starre ich ins Leere. Es wird wohl wieder eine fast schlaflose Nacht. Hoffentlich verschlafe ich meinen Wecker nicht.
ARTEN VON ANGSTSTÖRUNGEN Angststörungen treten in verschiedenen Arten auf. Die sechs häufigsten sind:
1. Spezifische Phobien
Eine spezifische Phobie ruft Furcht durch einzelne Situationen oder Objekte hervor, die in der Regel harmlos sind. Dazu können Ängste vor Spritzen, Tieren oder der Höhe gehören. Allein der Gedanke an diese Dinge löst bei den betroffenen Personen Unbehagen aus und sie können in panische Angst geraten.
2. Generalisierte Angststörung
Anhaltende Sorgen oder Ängste, die nicht auf bestimmte Situationen beschränkt sind,
gehören zu den wesentlichen Symptomen einer generalisierten Angststörung. Die Angst kann grundlos auftreten. Betroffene machen sich oft Sorgen über reale Risiken, wie Unfälle oder Erkrankungen. Sie sind innerlich unruhig, angespannt, nervös und haben häufig Schlafstörungen.
3. Soziale Angststörung (Soziophobie)
Alltägliche Situationen wie in der Öffentlichkeit sprechen oder essen, sich durchsetzen, Smalltalk führen gehören zu einer sozialen Angsterkrankung. Betroffene haben starke Angst davor kritisiert, blossgestellt oder erniedrigt zu werden.
4. Panikstörung
Bei einer Panikstörung leiden die Betroffenen unter wiederkehrenden Angstattacken, welche psychische sowie auch körperliche Auswirkungen haben. Die meisten Attacken dauern nicht länger als 30 Minuten. Im Extremfall können sie jedoch mehrere Stunden anhalten.
5. Zwangsstörung
Personen mit einer Zwangsstörung versuchen der Angst vor gewissen Dingen entgegenzuwirken, indem sie bestimmte Handlungen oder Rituale durchführen. So kann eine Angst vor Bakterien dazu führen, dass sich die Betroffenen ständig die Hände waschen.
6. Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Eine posttraumatische Belastungsstörung kann dann auftreten, wenn jemand etwas traumatisches oder stark belastendes erlebt hat (Krieg, Unfall, Gewalt, etc.). In den ersten Wochen nach einem solchen Erlebnis ist es völlig normal, dass sich der Körper und die Denkweise verändern. Wenn die Symptome nach einem gewissen Zeitraum jedoch nicht schwächer werden oder sich noch verstärken führt dies zu einer Erkrankung.
SYMPTOME
Je nach Person oder Art der Erkrankung, leiden Betroffene unter anderen Symptomen. Häufig handelt es sich aber um ähnliche oder dieselben Symptome wie:
Hitze- und Kälteausbrüche
Herzrasen
Ein beklemmendes Gefühl in der Brust
Schnell wachsende Sorgen
Zwanghaftes Denken und Verhalten
Gefühl der Ruhelosigkeit und Nervosität
Müdigkeit
Konzentrationsschwierigkeiten
Reizbarkeit
Probleme beim Einschlafen oder Durchschlafen
Schweissausbrüche, Zittern, Atemnot
Würgegefühl und Übelkeit
Schwindel oder Benommenheit
Angst verrückt zu werden oder zu sterben
Angsterkrankungen und Depressionen laufen oft Hand in Hand. Während einer depressiven Phase leiden viele unter Zukunftsängsten, Angst vor Versagen oder Ablehnung, sowie Panikattacken. Alltägliche Tätigkeiten wie das Einkaufen oder Zug fahren können plötzlich Angst verursachen. Oft sind dies die Folgen einer Depression und nicht einer Angststörung. Wird die Depression behandelt, können anschliessend auch die Ängste wieder abnehmen .
DEPERSONALISATION UND DEREALISATION Nach einer starken Erschöpfung kann für einen kurzen Moment das Gefühl von neben sich zu stehen oder die Umwelt distanziert wahrnehmen auftreten. Dies kennen viele Menschen und ist gesund. Wenn dieses Gefühl jedoch ständiger Begleiter wird, wird es zu einer Erkrankung. Depersonalisation und Derealisation sind sehr häufige Begleiterscheinungen einer Angststörung. Sie können sehr beängstigend sein und das Leben in einen Albtraum verändern. Menschen, die dauerhaft Gefühle von Entfremdung haben, sind davon überzeugt verrückt zu werden. Sie befürchten, die Kontrolle über ihren Verstand und ihr Verhalten zu verlieren.
Eine Depersonalisation ist, wenn Menschen sich selbst als verändert, unwirklich oder neben sich stehend wahrnehmen. Sie nehmen sich wie ein Schauspieler in einem Film wahr, erkennen sich selber beim Sprechen nicht mehr.
Bei der Derealisation hingegen wird die Umwelt als fremd empfunden, so als würde man sich in einem Traum bewegen. Objekte erscheinen fremd, verzerrt oder farblos. Die Umwelt wird durch einen Nebelschleier erlebt.
BEHANDLUNG
Angststörungen lassen sich mit einer Therapie behandeln. Die Betroffenen lernen, mit Ängsten umzugehen und diese selbst zu bewältigen. Sie fangen an sich Orten und Situationen wieder auszusetzen, so dass sie in Ihren normalen Alltag zurückkehren können. Je nach Schweregrad können zur Behandlung natürliche Medikamente mit Lavendel- oder CBD Öl, aber auch Antidepressiva eingesetzt werden.
Bei betroffenen Personen, die sich nicht mehr trauen ihr Haus zu verlassen oder an sehr starken Panikattacken leiden, können speziell ausgebildete Assistenzhunde eingesetzt werden. Diese werden bereits als Welpen dazu ausgebildet angsterkrankten Patienten dabei zu helfen den Alltag zu bewältigen.
Tiere haben in der Regel viel feinere Sinne als Menschen. So spüren Hunde ganz genau, wie es Menschen geht, nehmen auch subtile Stimmungen deutlich wahr. Sie können Panikattacken im Voraus wittern und den betroffene Personen entsprechend helfen.
So können sie beispielsweisen den Abstand zu anderen Personen in einer Schlange vergrössern, in dem sie sich dazwischensetzten. Auch kann es beruhigend wirken, wenn der Therapiehund dem Angstpatienten den Kopf auf den Schoß legt und sich streicheln lässt.
FAZIT Angst ist eine normale Schutzmassnahme des Körpers. Deswegen geht es nicht darum, angstfrei zu leben, sondern mit der gesunden Angst leben zu lernen. Angststörungen verbergen sich oft hinter vegetativen Symptomen, die plötzlich auftreten oder durch bestimmte Situationen ausgelöst werden können. Angstgefühle sind zeitlich begrenzt, unangenehm und für Betroffene belastend, aber nicht gefährlich.
Angststörungen können behandelt werden. Betroffene können lernen, sich mit angstauslösenden Situationen zu konfrontieren und Vermeidungsverhalten abzubauen. Dies ist nicht immer einfach und Rückschläge sind vorprogrammiert. Sich dessen Bewusst sein und weiter zu üben, bildet die Chance zur Vertiefung des Selbstvertrauens.
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